Impulse für eine Kultur des Miteinanders in der Psychiatrie

Wie soll sich die psychiatrische Versorgungslandschaft in Baden-Württemberg weiterentwickeln und welche Aufgaben und Herausforderungen kommen dabei auf die sieben Zentren für Psychiatrie im Land zu? Anfang 2015 ist in Baden-Württemberg das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) in Kraft getreten. Die darin vorgesehene Rahmenplanung für eine bedarfsgerechte und an der Lebenswirklichkeit orientierte Psychiatrie liegt seit Juli des Jahres unter dem Titel „Landesplan der Hilfen für psychisch kranke Menschen in Baden-Württemberg“ (Landespsychiatrieplan) vor. Für Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha ein guter Anlass, den direkten Austausch mit den Belegschaften der ZfP-Gruppe über diesen neuen Landespsychiatrieplan zu suchen. Die erste Station von drei Dialogveranstaltungen führte ihn am 18. September nach Weinsberg, wo ihn nicht nur Mitarbeitende des dortigen Klinikums am Weissenhof, sondern auch des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in Wiesloch und des Klinikums Schloß Winnenden erwarteten.

Entwicklungen schon seit 20 Jahren vorangebracht
Die Geschäftsführerin aller drei Zentren, Anett Rose-Losert, nutzte die Gelegenheit für einen Dank an die Beschäftigten für deren Einsatz zur Weiterentwicklung der psychiatrischen Angebote seit der Veröffentlichung des vorangegangenen Landespsychiatrieplans aus dem Jahr 2000. Seither sei nicht nur die Zahl der Mitarbeitenden von 3.000 auf über 4.000 gestiegen, sondern auch die Zahl der Außenstellen habe sich von einer Satelliten-Einrichtung im Jahr 2001 auf derzeit elf Außenstellen vermehrt. Dadurch sei eine nahezu flächendeckende und weitgehende gemeindenahe Versorgung von insgesamt 3,5 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern bereits heute Realität. Massiv ausgebaut worden seien die teilstationären und ambulanten Angebote. Allein in den Psychiatrischen Institutsambulanzen würden mittlerweile 42.000 Fälle in den drei Häusern jährlich behandelt. Auch die Einführung der Stationsäquivalenten Behandlung (Stäb) als Alternative zur vollstationären Versorgung sei in Vorbereitung. Damit seien die Zentren in Weinsberg, Wiesloch und Winnenden bereits auf gutem Weg zu einer bedarfsgerechten, an der Lebenswirklichkeit der Patientinnen und Patienten orientierten Versorgung, wie sie der neue Landespsychiatrieplan als Ziel formuliert.

Weitere Aufgaben auf der ZfP-Agenda
Mit Blick auf die weiteren Ziele der Rahmenplanung skizzierte Geschäftsführerin Rose-Losert weitere Aufgaben, welche es in den Zentren anzupacken gelte. Dazu gehöre etwa die Intensivierung einer strukturierten Beteiligung von Angehörigen über die bisher in den Kliniken bereits eingeführte Praxis hinaus. Wichtig sei auch die systematische Ausweitung des Einsatzes von Genesungsbegleitenden, wie er bisher bereits erfolgreich in einigen Fachabteilungen eingeführt wurde. Weiterhin arbeite man an der Entwicklung von bisher nicht hinreichenden Behandlungsangeboten für spezielle Patientengruppen, etwa Adoleszente mit psychischen Erkrankungen, und werde auch den Aufbau von angemessenen Angeboten für die wachsende Patientengruppe Migranten angehen. Insbesondere die Themen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Gerontopsychiatrie müssten in Zukunft auch Inhalt der Gemeindepsychiatrischen Verbünde sein.
Der anstehende Veränderungsprozess mit seinen vielseitigen Herausforderungen –
so Anett Rose-Losert – sei allerdings nur zu bewältigen, wenn die Zentren für Psychiatrie mit einer ausreichend bemessenen Anzahl an qualifizierten und veränderungsbereiten Fachkräften und guten Führungskräften rechnen könne.

Sozialminister: „Psychiatrie stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt“
Minister Manne Lucha griff diesen Aspekt auf und erinnerte daran, welch wichtigen gesellschaftlichen Beitrag die Arbeit in der Psychiatrie leiste: „Sie sind das Rückgrat der psychiatrischen Versorgung in unserem Land. Ihre Arbeit setzt ein Zeichen, dass unsere zivilisierte Gesellschaft niemanden im Stich lässt“, würdigte er die ZfP-Belegschaften in Weinsberg, Wiesloch und Winnenden, die in ihren Versorgungsgebieten für den überwiegenden Teil der psychisch Erkrankten zuständig sind.
Damit der Arbeitsplatz Psychiatrie auch weiterhin attraktiv bleibe, seien selbstverständlich angemessene Arbeitsbedingungen und Schutzmaßnahmen für die Mitarbeitenden nötig. Er unterstrich, dass sich das Land seiner Verantwortung in puncto politischer Unterstützung und Finanzierung bewusst sei und die Zentren für Psychiatrie bei den zu bewältigenden Aufgaben auf die enge Begleitung und Unterstützung des Sozialministeriums bauen können. „Wir stemmen die anstehenden Projekte!“, so seine Zusage. Gleichzeitig forderte der Minister eine Kultur des Miteinanders und ein Zusammenrücken aller beteiligten Institutionen, um die Versorgung Hand in Hand weiter zu verbessern und bedarfsgerecht zu gestalten.

Im Fokus der Debatte: Versorgungsstrukturen, Personalbelange und Finanzierungsfragen

Bei der anschließenden Diskussion machte Lucha deutlich, dass es bei dem dynamischen Prozess, der durch den Landespsychiatrieplan angestoßen wurde, darum gehe, die Versorgungsangebote an die realen Erfordernisse der Menschen anzupassen. Dieser Anspruch würde nicht zuletzt durch das Motto „Psychiatrie goes Gemeinde“ bzw. „Aus Betroffenen Beteiligte machen“ zum Ausdruck gebracht.
Das mit Vertreterinnen und Vertretern aus den drei Zentren besetzte Podium stellte zunächst Fragen zu Versorgungsaspekten, für die aus ihrer Sicht noch Klärungsbedarf besteht. So zeige sich beispielsweise immer wieder, dass für die Anschlussversorgung schwerst Erkrankter mit besonders herausforderndem Verhalten, etwa in der Gerontopsychiatrie, keine adäquaten Lösungen bereitstünden. Lucha erteilte einer Bedarfsplanung nach Plätzen eine Absage und verwies auf das Bundesteilhabegesetz, das den Weg zu bedarfsgerechten Angeboten aufzeige. Sollten sich Versorgungslücken erweisen, könnte über die Einrichtung spezieller Nachsorgezentren nachgedacht werden. Auch Hilfeplankonferenzen, wie sie in den Sozialpsychiatrischen Zentren praktiziert würden, bezeichnete er als bewährtes Instrument, um Nachsorgefragen zu lösen.

Eine weitere Frage betraf die notwendigen Ressourcen zum gewünschten Aufbau ambulanter Krisen- und Notfalldienste, gerade in Regionen, in den die finanzielle Ausstattung der Landkreise eine Realisierung erschwerte. Lucha zeigte sich offen, bei gemeinsam definierten Pilotprojekten regionale Strukturen und Angebote von Seiten des Landes mitzufinanzieren.
Im Hinblick auf die Situation der Beschäftigten standen u. a. Fragen rund um den Schutz vor Gewalt und Übergriffen, Zwangsmaßnahmen und die Umsetzung des neuen Bundesverfassungsgerichtsurteils zu Fixierungsmaßnahmen zur Diskussion. An der sorgfältigen Umsetzung rechtlicher Vorgaben führe kein Weg vorbei, stellte Lucha klar.
Wie gelingt es, Menschen zukünftig für die Arbeit in der Psychiatrie zu gewinnen? Auf diese zentrale Frage aus dem Podium wünschte sich Lucha – bei allen berechtigten Hinweisen auf Missstände oder Fehlentwicklungen – auch positive Perspektiven und optimistische Herangehensweisen. Ohne diese könne kein attraktives Bild vom Arbeitsplatz Psychiatrie vermittelt werden.

Der Landespsychiatrieplan steht zum Herunterladen bereit auf den Websites:
www.sozialministerium.baden-wuerttemberg.de
www.psychiatrie-bw.de